05Vor drei Monaten habe ich mein Lauftraining aufgenommen. Ich bin kein guter Läufer. Da die Offiziersgesellschaft Frauenfeld aber den traditionellen Frauenfelder mitorganisiert, fühle ich mich seit Jahren verpflichtet, am Waffenlauf teilzunehmen. 2014 ist mein neunter Lauf, acht Mal bin ich ans Ziel gekommen, einmal musste ich wegen Krankheit aufgeben.

16.11.2014: 0930 Uhr versammeln wir uns im Innenhof der Kaserne Frauenfeld. Wie immer sieht man alte Bekannte, wie immer staune ich über die teils sehr ergrauten Herren, welche hier antreten. Aber auch viele neue, junge Gesichter gesellen sich zur Schar der etwa 200 unentwegten Waffenläufer. Nach dem Antrittsverlesen und den Ehrungen marschieren wir in doch sehr aufgelöster Formation zum Start beim Viehmarktplatz.

 

03Vor dem Start gibt es ein Selfie mit einem anderen Vorstandsmitglied und einem Kollegen. Wie immer gesellt sich meine Familie zu mir, meine Buben, welche hoffentlich in einigen Jahren ebenfalls zu der stolzen Gruppe der Waffenläufer gehören werden, posieren mit mir mit ihren Schweizerkappen. Die Nervosität ist überall spürbar.01

Um Punkt 10.00 Uhr ertönt der ohrenbetäubende Schuss aus der Artilleriekanone und wie immer stürmen die Waffenläufer los als wären wir bei einem 100-Meter-Lauf. Früher, als viele 100 Waffenläufer starteten, habe es hier ein grosses Gedränge gegeben. Heute verteilt sich die Waffenläuferschar schon bald, wenn es den doch recht steilen Aufstieg zum Schulhaus Huben unter die Füsse zu nehmen gilt. Diese erste Strecke ist schon sehr anstrengend und man muss sich entscheiden, ob man Gas geben will, mit der Gefahr, dass man schon bald ausser Atem gerät, oder ob man sich zurückfallen lassen soll, mit der Gefahr, dass die vielen Zuschauer einem mitleidig zuklatschen. Ich entscheide mich für Letzteres.

04Nach dem Schulhaus Huben geht es vorerst relativ gerade weiter, bald sehe ich aber die berüchtigten Kamelbuckel vor mir. Diese sehr steile Steigung absolviere ich zu Fuss und mir kommt wie immer hier in den Sinn, dass ich in etwa 5 Stunden schon buchstäblich am Ende hier wieder durchlaufen werde.

Noch relativ beschwingt nehme ich die ersten 10 km unter die Füsse. Obwohl ich einige der Waffenläufer kenne, laufe ich meist alleine. Ich mag es, wenn ich mein eigenes Tempo gehen kann und nicht auf andere Rücksicht nehmen muss. Beim Waffenlauf, wie bei jedem Marathon, ist es wie im richtigen Leben: Die ersten 10km läuft man beschwingt und jugendlich, bis zur Hälfte des Marathons hat man schon die besten Zeiten hinter sich, bei km 20 bis 30 geht es körperlich nur noch abwärts und auf den letzten 10 km fühlt man sich uralt und sie sind ein Warten auf die Erlösung. Noch aber renne ich relativ beschwingt und freue mich an den vielen Zuschauern an der Stecke, von denen ich ab und zu jemand kenne. Die Strecke ist schön, das Wetter klart auf und oftmals höre ich, wie sich Leute zurufen: „Ach das ist ja der Hermann Lei!“ Die Begeisterung der Zuschauer spornt an, auch im grossen, längeren Stich Richtung Tuttwil, wo die ersten zivilen Marathonläufer uns mit flockigem Laufschritt überholen. Mein Göttikind Matthias steht dort und winkt mir zu. 02Sein Vater feuert mich an: „Die beiden Österreicher vor Dir holst Du schon noch ein!“. Nun macht sich auch langsam der erste Durst bemerkbar, nach der Überschreitung des „Passes“ vor Eschlikon winkt zum Glück schon bald der erste Verpflegungsposten. Durstig trinke ich, soviel halt gerade hineingeht und esse ein Stück Banane. Bewundernd schaue ich den zivilen Marathonläufern nach, welche im Rennen einen Schluck trinken damit sie keine Zeit verlieren. Weiter geht es auf die lange Strecke am Berghang Richtung Wil. Nach 8 oder 9 Teilnahmen kennt man auch die verschiedenen Orte, wo Zuschauer ein kleines Fest für sich veranstalten und manchmal schon sichtlich gut gelaunt bei Schnaps und Bratwurst den Läufern Alkohol ausschenken wollen. Dankend lehne ich ab. Im Wald bei Sirnach treffe ich dann wieder auf meine Familie, welche mir zu Trinken und etwas zu Essen gibt, die Kinder rennen ein kurzes Stück mit. Genau an dieser Stelle überholt mich dann auch mein Nachbar, welcher den zivilen Marathon absolviert. Einige 100 Meter weiter rennen mir dann schon seine 4 Kinder entgegen und lachen mich aus, ihr Vater sei ja viel schneller….. Auch mein Göttikind ist wieder da. Sehr kräftezehrend ist die lange, nicht enden wollende Strecke vor Wil, welche durch Industriegebiete auf Asphalt führt und einem den Rest gibt. In Wil selber aber sind dann wieder viele Zuschauer, welche die letzten Waffenläufer und die ersten Halbmarathonläufer hier begrüssen. Beim Durchgang durchs Tor in Wil, wo die Hälfte geschafft ist, ist es für mich immer etwas enttäuschend. Da ich bis zu diesem Punkt etwa 2 Stunden und 20 Minuten benötige, laufe ich kurz vor dem Start der Halbmarathon-Läufer ein und die meiste Aufmerksamkeit richtet sich deshalb auf diesen Massenstart. Ich komme mir hier immer etwas verloren vor und an den vielen weggeworfenen Bechern erkenne ich, dass viele schon vor mir hier vorbeigelaufen sind.

05Der Rückweg nach Frauenfeld ist grundsätzlich weniger anspruchsvoll, da es oftmals leicht bergab geht. Mir tun aber dennoch bereits hier die Füsse recht weh und die Energie ist eindeutig am Schwinden. Dazu kommt, dass mich 100e zivile Halbmarathonläufer hier überholen. Allerdings gibt es viele Halbmarathonläufer, die mich beim Überholen aufmuntern und mir sagen, wie stark sie es finden, dass hier jemand in Uniform und Gewehr die doppelte Strecke läuft. Irgendwo in Bronschhofen überholt mich dann auch eine Kollegin, welche mich eine Weile mitzieht und dann von dannen springt. Danach folgt eine relativ lange, mehr oder weniger gerade Strecke, welche aufs Gemüt schlägt, auch wenn sie durch schöne Landschaften führt. Für die Landschaft habe ich jetzt aber weniger ein Auge, ich kämpfe mit der Energielosigkeit und mit meinen Beschwerden. Dennoch läuft es mir hier besser als in anderen Jahren, als ich mit gravierenden Leistungsabfällen zu kämpfen hatte. Bald treffe ich auch meine Familie wieder, welche mich verpflegt. So gestärkt mache ich mich weiter auf Richtung Lommis.

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Nun beginnt wieder die Rechnerei: Schaffe ich es, mein Ziel zu erreichen und vor 15.00 Uhr die Ziellinie zu überschreiten? Mein Tempo ist deutlich langsamer. Ich muss mich sehr anstrengen, selbst das langsame Tempo zu halten und nicht immer wieder zu marschieren oder stehen zu bleiben. Die Quälerei hat für mich definitiv begonnen. Dennoch schaffe ich es hin und wieder, einen anderen Waffenläufer zu überholen, manchmal sogar einen Halbmarathonläufer. Das im Vergleich zu früher intensivere Lauftraining macht sich eindeutig bezahlt. Ich laufe zwar nicht schneller als in früheren Jahren, aber mit doch weniger Problemen. Es sei aber nicht verschwiegen, dass die letzten 10 km eine ziemliche Quälerei darstellen. Es scheint immer eine Ewigkeit zu dauern, bis die gelben Kilometertafeln auftauchen.

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Kurz vor den berüchtigten Kamelbuckeln merke ich, dass die Zeit wie immer sehr knapp wird, will ich vor 15.00 Uhr einlaufen. Wohl oder übel muss ich mich nochmals sehr zwingen, ein akzeptables Tempo einzuschlagen. Auf der Stecke zum Schulhaus Huben werde ich zu allem Elend noch von kleineren Krämpfen geplagt, die aber glücklicherweise schnell verschwinden. Am Ortseingang von Frauenfeld habe ich immer das Gefühl, jetzt sei ich bald da, was sich aber regelmässig als Irrtum erweist, weil die Strecke bösartigerweise noch einige endlose Haken schlägt. Die letzten etwa 1.5km gehen dann nur noch herunter, z.T. aber relativ steil, was auf die Gelenke schlägt. Ich merke aber, dass ich nur noch wenige Minuten Zeit habe. Ich gebe daher alles und spurte unter nicht unerheblichen Schmerzen diese letzten 1.5km.

Der Zieleinlauf ist wie immer von vielen Leuten gesäumt, auch wenn ich eher zu den hinteren Läufern gehöre. Schön ist auch, dass der Speaker den Namen des Einlaufenden verkündet. Das motiviert mich zu einem Schlusssprint, was den Speaker dazu bewegt, auszurufen, hier gebe einer noch die letzten Reserven. Dann endlich habe ich es geschafft, ich bin im Ziel! 09

Wie immer ist die Erleichterung am Ziel riesig, viele Leute kommen und gratulieren zur erbrachten Leistung. Kaum ist man aber nicht mehr am Rennen, stellen sich die ersten Schmerzen ein, die Vorzeichen dessen, was in den nächsten zwei drei Tagen noch folgen wird, nämlich Gelenkschmerzen, Wolf und auch die eine oder andere Blase an den Füssen. Es gibt aber kaum ein schöneres Gefühl als frische Kleider anzuziehen und warm eingepackt in Faserpelze durch die vielen Läufer zu gehen und sich gegenseitig Komplimente zu verteilen.

10Am Schluss schiesse ich noch ein Selfie mit dem Vorstandsmitglied Jakob Oelkers. Er ist kurz nach mir eingelaufen, weil er mit Krämpfen zu kämpfen hatte.

Vor und während des Laufes habe ich mir wie immer geschworen, dies sei nun wirklich das letzte Mal gewesen, dass ich mir diese Tortur antue. Und doch weiss ich: Nächstes Jahr werde ich wieder antreten.

Hermann Lei, November 2014